Im deutschen Demokratieverständnis nehmen Verbraucherinnen und Verbraucher häufig nicht die Rolle eines Souveräns ein, obwohl die Demokratie formal auf der Idee der Bürgerbeteiligung basiert. Vielmehr werden sie in der Praxis oft als nachrangige Akteure wahrgenommen – „Begleiterscheinungen“ staatlicher Ordnung –, insbesondere wenn ihre Rechte verletzt werden.
Empirisch lässt sich dies etwa an folgenden Punkten verdeutlichen:
- Rechtsdurchsetzung: Verbraucherrechte werden zwar gesetzlich garantiert (z. B. durch das BGB, das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz oder EU-Richtlinien), jedoch führen langwierige Verfahren, hohe Kosten und unklare Zuständigkeiten häufig dazu, dass Verbraucher nur eingeschränkt Schutz erfahren.
- Institutionelle Struktur: Verbraucherschutzverbände existieren in vielfältigen Ausprägungen, wirken für Verbraucherinnen und Verbraucher jedoch oft undurchsichtig. Zudem konzentrieren sich viele dieser Verbände in erster Linie auf den Schutz der breiten Masse, wodurch individuelle Anliegen teilweise nur begrenzt berücksichtigt werden.
- Bürokratische Hürden: Viele staatliche Stellen sehen Verbraucher zunächst als „zu regulierende Zielgruppe“, nicht als gleichberechtigte Anspruchsträger.
Interpretation: Die Demokratie zeigt hier eine Lücke zwischen formaler Rechtsordnung und gelebter Praxis. Zwar existiert ein normativer Anspruch auf Souveränität des Bürgers, doch im Alltag erleben Verbraucher häufig, dass ihre Rechte nur begrenzt wirksam geschützt werden. Dies kann als strukturelle Diskrepanz zwischen Ideal und Realität demokratischer Teilhabe verstanden werden.
Schlussfolgerung: Um eine authentische, bürgerzentrierte Demokratie zu stärken, wäre es nötig, die Rolle des Verbrauchers als gleichberechtigten Rechtsträger sichtbarer zu machen und die Durchsetzung seiner Rechte effektiv zu unterstützen – etwa durch niedrigschwellige Beschwerdewege, unabhängige Ombudsstellen oder gut ausgestattete Verbraucherschutzorganisationen.
Der Rechtsstaat hat im Bereich des Verbraucherschutzes alles dafür getan, dass das Recht kaum im Interesse des Einzelnen wirkt. In Deutschland scheint die Rolle der Verbraucher darauf reduziert zu sein, zu arbeiten, Geld zu verdienen, es auszugeben, Steuern zu zahlen und bei Wahlen abzustimmen. Darüber hinaus sollen sie sich gefügig verhalten und im Gehorsam verharren.
Nur wer es bewusst verdrängt, erkennt nicht, dass der Staat eine Situation geschaffen hat, in der Verbraucher in nahezu allen Bereichen der Wirtschaft – überall dort, wo Geld fließt – leichte Opfer von Ungerechtigkeit werden. Es wirkt fast so, als bräuchten die drei Staatsgewalten und die Wirtschaft ein solches System, um unbeugsame, kritische Bürger zu brechen. Widerstand scheint zwecklos, patriotisch handeln heißt offenbar: stillhalten.
Die taz hat eine aufschlußreiche Reportage veröffentlicht: https://taz.de/Mietwucher-in-Berlin/!6123481
„Deutschlandweit kaum ein Urteil zu Mietwucher
Ganz allein sind Mieter:innen aber nicht. Mieten, die 20 Prozent über der ortsüblichen Miete liegen, gelten als Ordnungswidrigkeit. Werden über 50 Prozent mehr verlangt, handelt es sich um eine Straftat und Mietwucher, der von den Behörden gerichtlich angefochten werden kann. Eine Hürde gibt es jedoch: Es muss nachgewiesen werden, dass der Vermieter eine Notsituation des Mieters ausnutzt. Dass dieser keine andere Wohnung findet und deshalb die teure Miete zahlt etwa. Kaum zu beweisen und ein Grund dafür, dass es deutschlandweit kaum ein Urteil zu Mietwucher gibt.
Martin Berger könnte seinen Verdacht, dass Heimstaden von ihm eine Wuchermiete verlangt, zur Anzeige bringen.“
Martin Berger, Hauptprotagonist der taz-Reportage, konnte seinen Verdacht auf Wuchermiete anzeigen: Glück im Unglück: Mich würde interessieren, ob die Staatsanwaltschaft bereits vor der taz-Berichterstattung tätig wurde oder erst danach. Aus Erfahrung weiß ich: Staatsanwaltschaften zeigen oft wenig Motivation, tatsächlich zu ermitteln. Häufig erhält der Verbraucher nur die Mitteilung, das Verfahren sei eingestellt, weil „keine hinreichende Aussicht auf Erfolg“ bestehe – selbst wenn deutliche Beweise vorliegen.
Angst beherrscht das Leben der Verbraucher ohne finanzielle Rücklagen. Die drei Staatsgewalten des Rechtsstaates wissen um dieses uralte Problem. Politiker:innen zeigen sich während Wahlkämpfen kämpferisch – doch das ist oft nur Fassade, um von der Angst der Verbraucher zu profitieren. Staatsanwaltschaften und Aufsichtsbehörden bleiben auffallend still. Proaktiver Verbraucherschutz im Sinne der Einzelnen? Fehlanzeige.
Die taz berichtet, dass nur wenige Mieter:innen gegen überhöhte Mieten vorgehen – „vielleicht zehn Prozent“, schätzt die Mietrechtsanwältin Handwerg. Kaum verwunderlich. Auf Anfrage teilten die Berliner Zivilgerichte mit, dass seit Jahresbeginn 347 Verfahren gegen Heimstaden liefen. „Den Vermieter direkt nach dem Einzug zu verklagen, das macht man nicht so einfach“, sagt Handwerg. Viele Mieter wissen zudem nicht, welche Rechte sie haben, oder fürchten, ihre Wohnung zu verlieren. Der angespannte Wohnungsmarkt verschärft die Situation.
Im deutschen Rechtsstaat sind Verbraucher chancenlos, sobald sie allein gegen Unrecht antreten. Alle staatlichen Schutzmechanismen entpuppen sich oft als Illusion. Wer sich wehrt, zahlt den höchsten Preis – häufig mit der eigenen Gesundheit.
Der Staat schaut zu. Seit Jahrzehnten verschlechtern sich die Lebensbedingungen. Skrupellose wirtschaftliche Akteure mit starker Lobby in der Legislative – und womöglich auch in der Exekutive – können sich fast alles erlauben. Bürger:innen haben politische Parteien als Interessenvertretung, doch diese Lobby ist schwach, wenn es um den Schutz des Einzelnen geht. Deutschland ist für die breite Masse längst ein gefährliches Pflaster: Potentielle Gefahren lauern überall – bei Autowerkstätten, Internetunternehmen, dubiosen Online-Organisationen, Arztpraxen, Notaufnahmen, Versicherungen, Altenheimen, Pflegediensten, Vermietern und Behörden. Überall, wo Geld fließt, ist der Einzelne das schwächste Glied und diese Situation wird viel zu oft ausgenutzt.
Wenn Einzelne betroffen sind, dominiert die Haltung: fügen, beugen, nicht auffallen – das Unrecht still ertragen, um Repressalien zu vermeiden. Nur wenn die Presse aufmerksam wird, besteht eine geringe Chance auf Gehör.
Man hat das Schlechte zu lange geduldet – nun müssen sich die Menschen noch stärker anpassen. Wer sich zur Wehr setzt, riskiert zusätzliche Probleme und wird gebrochen. Dieser Fall in der taz zeigt exemplarisch, wie machtlos Einzelne oft gegenüber wirtschaftlicher Übermacht sind. Gesetze und Schutzmechanismen existieren nur auf dem Papier; wer sich nicht selbst wehrt oder keine ausreichenden Ressourcen hat, bleibt schutzlos.
Am Ende gilt als klug, wer sich fügt, beugt und im Gehorsam verharrt. Was für eine Demokratie ist das?
Es muss nicht so blieben
Das ist genau der Grund, warum wir, die Einzelnen in Deutschland, gemeinsam handeln müssen. Wer selbst nicht kämpfen kann oder will, kann seine demokratische Kraft bündeln und anderen zur Verfügung stellen – mir zum Beispiel. Wenn Legislative und Wirtschaft spüren, dass viele Verbraucher:innen hinter uns stehen, werden sie handeln müssen.
Gemeinsam können wir echte Chancen auf Gerechtigkeit und Verbraucherschutz schaffen – und den Mächtigen zeigen, dass Widerstand nicht länger zwecklos ist. Mit geballter Kraft können wir für jeden Einzelnen in der Masse kämpfen – mit realen Chancen auf Erfolg. Es liegt an uns, unsere Situation zu verbessern und Staat sowie Wirtschaft endlich entsprechend zum Handeln zu bewegen.
