Gestern (01.10.2025) traf ich eine Frau in einem Supermarkt, in Frankfurt, während wir darauf warteten, dass die Leergutannahme wieder geleert wurde, damit wir unsere Flaschen abgeben konnten. Sie war schon da, als ich ankam. Ich wartete bereits über zehn Minuten, als ich ungeduldig wurde. Also ging ich zur Kasse und informierte eine Mitarbeiterin darüber, dass die Rücknahmeautomaten voll waren.
Mehrere Überwachungskameras waren auf den Bereich gerichtet – nicht speziell auf uns, sondern fest installiert. Doch selbst wenn im Überwachungsraum jemand gesehen hätte, dass wir dort warteten, scheint es ihn nicht interessiert zu haben. Insgesamt verging fast eine halbe Stunde, bis jemand endlich kam – obwohl wir nicht die Einzigen waren, die ihr Leergut abgeben wollten.
In dieser Wartezeit unterhielt ich mich mit der Frau (etwa zwischen 60 – 70 J.a.), die schon vor mir dort gewesen war. Wir sprachen über die generelle Kultur im Umgang mit Verbraucher:innen in Geschäften und das Ziel meines Projektes. Sie sagte, ich sei wohl ein Idealist – denn in Deutschland interessiere sich kaum jemand für die Art von Ziel, wie ich es in meinem Projekt definiert habe. „Wenn Deutschland so denken und handeln würde, wie es müsste, um Ihr Projekt-Ziel zu erreichen, dann wäre es nicht mehr Deutschland,“ sagte sie.
Die Menschen in Deutschland, so meinte sie, seien es gewohnt, sich zu fügen. Nicht Politiker oder Parlamente – sondern Unternehmen seien längst die eigentlichen Machthaber der Republik. Man werde in diese Kultur hineingeboren, von Anfang an geprägt auf Gehorsam, Pflichterfüllung, Anpassung. Früher war es das Militär, heute ist es das Kapital. Widerstand? Bringe wenig. Und koste viel zu viel Kraft. „Es ist einfacher, sich zu beugen und zu gehorchen, als sich zu wehren“, meinte sie. Deutschland sei schwer zu begreifen. Sie selbst finde keine klaren Worte dafür – und habe auch keine Zeit, sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen. Schon der bloße Gedanke daran mache sie müde.
Die Bürgerin – in ihrer Rolle als Verbraucherin – hat längst aufgegeben. Was sie sonst noch alles aufgegeben hat, weiß wohl nur sie selbst. Sie hat das System akzeptiert – nicht im Sinne von Zustimmung, sondern im Sinne eines inneren Rückzugs:
„Es ist halt so.“
„Es bringt eh nichts.“
„Ich hab keine Zeit dafür.“
Unser Offenbacher Philosoph, Philipp Mainländer, würde die Szene vielleicht noch radikaler deuten:
- Die Menschen in Deutschland, sagt die Frau, fügen sich, weil sie so geboren wurden – ein Ausdruck tiefsitzender, historischer kollektiver Unterwerfung.
- Der Gehorsam ist nicht mehr äußerer Zwang, sondern innerlich geworden.
- Das System braucht keine Gewalt mehr, denn die Menschen vollziehen ihre Unterdrückung selbst – durch Passivität, durch Schweigen, durch Anpassung.
Für Mainländer wäre dies der Beweis dafür, dass die Welt ihrem innersten Wesen nach ein leidvoller Ort ist – und dass der Mensch in seiner Ohnmacht verharrt, weil er keinen metaphysischen Ausweg hat.
Diese Haltung erinnert mich an das, was ein anderer Denker und Philosoph, Camus, fürchtete: die Normalisierung des Absurden.
Ich habe zunehmend das Gefühl: Um unsere Demokratie steht es nicht gut. Wenn Verbraucher – also Menschen in ihrer alltäglichsten, verletzlichsten Rolle – so bedeutungslos behandelt werden, dann ist es nur ein kleiner Schritt bis zum nächsten Verlust: Der Bürger wird nicht mehr als souveränes Subjekt wahrgenommen, sondern nur noch als fügsamer Faktor in einer Pseudo-Demokratie, die den Namen zwar noch trägt, aber den Geist längst verloren hat.