Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern entwickelte sich die Aufklärung in Deutschland langsamer und konfliktreicher. Die Vielzahl kleiner Fürstentümer, der starke Einfluss von Kirche und Adel sowie lange Phasen autoritärer Herrschaft behinderten die Verbreitung aufklärerischer Ideen, die auf Vernunft, individuelle Freiheit und Selbstbestimmung abzielten. Stattdessen verfestigte sich ein tief verwurzeltes Obrigkeitsdenken, das den Einzelnen eher als Teil eines Kollektivs verstand – nicht als unabhängiges Subjekt mit durchsetzbaren Rechten gegenüber Staat und Wirtschaft.
Diese historische Spannung war ein idealer Nährboden für den philosophischen Pessimismus, der gerade in Deutschland im 19. Jahrhundert zu einer eigenständigen Denkrichtung wurde. Wie kaum irgendwo sonst in der Welt entstand hier eine Philosophie, die die Widersprüche einer Gesellschaft widerspiegelte, die einerseits nach Freiheit strebte, andererseits aber tief in autoritären Strukturen verhaftet blieb. Denker wie Schopenhauer, Mainländer und Nietzsche analysierten die Sinnlosigkeit des Leidens, die Macht der Masse über das Individuum und die Illusion von Fortschritt – nicht, um Unfreiheit zu rechtfertigen, sondern um sie sichtbar zu machen.
Doch während diese Philosophen den Zustand oft kritisierten oder transzendieren wollten, hat sich die Grundproblematik bis heute in neuer Form erhalten: Der Einzelne wird in Deutschland zwar formal als frei und gleichberechtigt angesehen – in der Praxis aber bleibt seine Durchsetzungskraft schwach.
Heute zeigt sich das besonders deutlich in der Rolle des Menschen als Verbraucher. Zwar existieren Rechte, doch die Art, wie Verbraucherschutz gestaltet ist, erlaubt es dem Einzelnen nicht, sich wirksam gegen Verstöße, schlechten Service oder systematische Benachteiligung durch Unternehmen und Behörden zu wehren. Dieser strukturelle Mangel hat zu einem Extrem geführt, das bereits in den 1990er-Jahren als „Deutschland – Dienstleistungswüste“ bekannt wurde – ein Ausdruck für die weit verbreitete Respektlosigkeit und Verantwortungslosigkeit im Umgang mit Kunden. Die Auswüchse dieser Haltung waren so gravierend, dass sie international auffielen und selbst in den Medien thematisiert wurden.
Die zwei mächtigsten Akteure im Staat – die Unternehmen und der Staat selbst – bilden heute eine funktionale Symbiose, die genau diese strukturelle Ohnmacht stabilisiert. Unternehmen setzen Lobbyismus gezielt ein, um Gesetzgebung zu beeinflussen, während staatliche Stellen oft tatenlos bleiben oder sogar unternehmerfreundliche Regeln durchsetzen. Der Bürger als Einzelperson bleibt dabei auf der Strecke – und seine „individuelle Freiheit“ reduziert sich im Alltag auf leere Versprechen.
Wer versucht, sich zu wehren, landet in einem Labyrinth aus Bürokratie, Schweigen, Zuständigkeitsverlagerung und digitalen Barrieren. Kundenservice wird zur Abwehrmaßnahme, nicht zur Lösung. Der Zugang zu Beschwerdeverfahren ist oft bewusst erschwert, Transparenz wird verhindert, und eine konsequente rechtliche Durchsetzung scheitert an Kosten, Beweislast und Intransparenz.
In Wahrheit ist individuelle Freiheit nur erlaubt, solange sie nicht stört. Sobald ein Einzelbürger wirklich aus der Masse heraustritt – um sich gegen Unrecht, Schikane oder Inkompetenz zu wehren – wird er nicht unterstützt, sondern systematisch zermürbt.