Wenn es um den wirklichen Schutz seiner Bürger in ihrer Rolle als Verbraucher geht, zeigt sich der Staat auch in diesem Bereich oft nur rhetorisch stark
In der Realität bleibt die politische Entschlossenheit häufig hinter den öffentlichen Bekenntnissen zurück. Denn staatliche Akteure – insbesondere die politischen Entscheidungsträger – sind auf die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger angewiesen, um ihren demokratischen Führungsanspruch zu legitimieren. Doch zwischen den Wahlversprechen und der tatsächlichen politischen Umsetzung klafft nicht selten eine tiefe Lücke. Was bleibt, ist das Gefühl vieler Verbraucher, von Wahl zu Wahl vertröstet zu werden, während sich an den strukturellen Machtverhältnissen kaum etwas ändert.
Große Unternehmen hingegen handeln vielfach mit dem Selbstverständnis, sich fast alles erlauben zu können – ob Datenmissbrauch, Intransparenz oder die Missachtung von Verbraucherrechten. Sie wissen: Selbst wenn sie gegen geltendes Recht verstoßen und dabei erwischt werden, bleiben die Konsequenzen in der Regel überschaubar. Die Angst vor wirksamen Sanktionen ist gering – der Respekt vor den Rechten der Verbraucher ebenso.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1983 im Volkszählungsurteil das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung formuliert – als Reaktion auf übergriffige staatliche Datensammelpraktiken. Ein Vierteljahrhundert später, im digitalen 21. Jahrhundert, ist der Staat selbst zum Erfüllungsgehilfen wirtschaftlicher Interessen geworden – auch im sensiblen Bereich des Datenschutzes.
Die Folge: Die Stellung der Bürgerinnen als Verbraucherinnen wird nicht gestärkt, sondern weiter geschwächt – durch eine Politik, die Kontrolle verspricht, aber Verwertung ermöglicht.
Im Jahrs 2010 warnte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Studie vor den Folgen der rasant wachsenden Datensammelpraxis: Unternehmen würden mithilfe moderner Informationstechnologien immer detailliertere Kundenprofile erstellen – über Markenpräferenzen, Preiselastizität oder Wechselbereitschaft. Mehr noch: In vielen Branchen, etwa bei Fluglinien, Banken, Versicherungen oder im Einzelhandel, tauschen konkurrierende Unternehmen solche Daten untereinander aus. Die Auswirkungen auf Wettbewerb, Verbraucherschutz und gesellschaftliche Wohlfahrt sind erheblich.
Trotz dieser bekannten Risiken hat der Gesetzgeber bislang keine konsequent verbraucherfreundliche Linie eingeschlagen. Im Gegenteil: Die Verantwortung für den Schutz der eigenen Daten wird fast vollständig auf die Verbraucher abgewälzt. Das zeigt sich etwa beim Thema Einwilligungen im digitalen Raum (Opt-In): Wer nicht möchte, dass persönliche Daten gesammelt oder weitergegeben werden, muss selbst aktiv widersprechen – bei jedem einzelnen Besuch einer Webseite, bei jeder Anwendung. Diese Konstruktion stellt eine kaum zu bewältigende Daueraufgabe dar und verkehrt das Prinzip des Datenschutzes in sein Gegenteil.
Statt Verbraucher systematisch zu entlasten und echte Schutzmechanismen zu schaffen, handelt der Staat häufig wie ein bevormundender, passiver „Stiftvater“: formal zuständig, aber real abwesend. Der Eindruck drängt sich auf, dass Bürgerinnen und Bürger vor allem als formale Legitimationsmasse dienen – sowohl für politische Herrschaft als auch für unternehmerische Machtinteressen. In diesem System ist Schwäche offenbar kein Zustand, den es zu überwinden gilt, sondern ein kalkulierter Normalzustand, der von Staat und Wirtschaft gleichermaßen in Kauf genommen, wenn nicht sogar gebraucht wird.
Deshalb verfolgt das Projekt „Verbraucherhilfe-direkt, individuell, kostenlos“ das Ziel, Verbraucherinnen und Verbraucher mit einer realen, wirksamen und niedrigschwelligen Verteidigungsstruktur auszustatten – damit Staat und Unternehmen endlich aufhören, die Vielzahl an Einzelverbrauchern als leicht lenkbare, schutzlose Masse zu behandeln.
In Deutschland agieren zunehmend deutsche Patientendatensammler-Unternehmen. Unter einem „Dach“ entwickeln und vertreiben sie Softwarelösungen und digitale Dienste für das Gesundheitswesen, darunter Praxisverwaltungssysteme für Arztpraxen, digitale Patientenakten, Telematiklösungen und andere E-Health-Produkte. Von allen Seiten der IT haben Sie Zugang zu Patientendaten, eine der wertvollsten Daten überhaupt.
Solche Unternehmen der IT-Gesundheitsbranche arbeiten mit großem wirtschaftlichem Erfolg im Gesundheitswesen – insbesondere in Zusammenarbeit mit Arztpraxen. Diese profitieren oft finanziell erheblich von solchen Kooperationen. Unter dem Vorwand von Nutzerfreundlichkeit und digitalem Komfort – etwa bei der Rezeptbestellung, Terminvereinbarung oder Befundeinsicht – holen viele Arztpraxen das Einverständnis ihrer Patientinnen und Patienten zur Datenverarbeitung durch externe Plattformen ein.
Was viele jedoch nicht wissen: Die so gewonnenen Gesundheitsdaten stehen anschließend Drittanbietern zur Verfügung, die – mangels wirksamer Kontrolle – weitreichende Möglichkeiten haben, mit diesen Informationen kommerziell zu arbeiten. Die tatsächlichen Zwecke der Datenverarbeitung bleiben für die Betroffenen oft intransparent. Darüber hinaus wird die nachträgliche Beendigung der erteilten Einwilligung unnötig erschwert oder durch technische und bürokratische Hürden praktisch vereitelt.
So entsteht ein System, in dem besonders sensible Informationen – etwa zu Diagnosen, Medikamenten oder Lebensgewohnheiten – in wirtschaftlich orientierte Datenflüsse geraten, deren Kontrolle sich der einzelne Patient kaum noch entziehen kann. Das Prinzip der informierten, freiwilligen Zustimmung wird damit faktisch ausgehöhlt.
„Geburtsdatum, Postleitzahl oder Mobilitäts- und Gesundheitsdaten – im Netz werden unsere Daten massenhaft gesammelt und gewinnbringend verkauft. Sie sind zu einem Wirtschaftsgut für neue Unternehmen geworden. Kontrolle und Transparenz bleiben dabei auf der Strecke.“ Quelle: Deutschlandfunk.de >>>
Gesundheitsdaten als Ware – Die stille Entmachtung der Patienten
Immer häufiger profitieren Arztpraxen finanziell von Kooperationen mit Gesundheits-IT-Unternehmen, etwa durch die Weitergabe oder sogar den Verkauf sensibler Patientendaten. Diese Praxis entwickelt sich zunehmend zu einem lukrativen Geschäftsmodell. Gleichzeitig kaufen private Investoren in Deutschland systematisch Arztpraxen auf, bündeln sie in großen Konzernen und integrieren sie in renditeorientierte Strukturen.
Im Zentrum dieser Entwicklung steht selten das Wohl der Patienten – vielmehr geht es um die Erzielung maximaler Gewinne: durch den Handel mit Gesundheitsdaten und durch die Etablierung datensammelnder IT-Dienste als vermeintlich unverzichtbare Infrastruktur im Gesundheitswesen.
Diese Entwicklung kann jedoch nur Bestand haben, solange sie von den Bürgern stillschweigend akzeptiert wird. Die gesellschaftliche Akzeptanz solcher Geschäftsmodelle wird damit zum entscheidenden Faktor – und zugleich zur Schwachstelle: Denn je mehr Menschen diese Praxis hinnehmen, desto weiter wird ihre Rolle als mündige Patientinnen und Verbrauchern geschwächt.
Etwas über den Aufkauf von Arztpraxen in Deutschland kann hier gelesen werden: ZDF, Gewinn für Investoren, Risiko für Patienten >>>
Gesundheitsdaten sind längst nicht mehr nur ein Mittel zur medizinischen Versorgung. In digitalisierter Form werden sie zu einem immateriellen Rohstoff – besonders in der Ära von Künstlicher Intelligenz, personalisierter Medizin und Big Data.
Die stille Entmachtung: Warum das gefährlich ist
In dem Maße, wie aktuelle digitale Gesundheitsgeschäftsmodelle auf intransparenter Zustimmung und struktureller Intransparenz fußen, verlagert sich die Rolle der Patienten: Sie werden von informierten Verbrauchern zu passiven Ressourcenlieferanten degradiert – mit weitreichenden Folgen für Selbstbestimmung, Datenschutz und demokratische Teilhabe.
Die Folgen:
- Entdemokratisierung des Gesundheitswesens
- Kommerzialisierung sensibelster Lebensbereiche
- Export von Technologien, deren Basis auf ethisch fragwürdiger Datennutzung beruht
Sogar „Exportgüter“ entstehen rund um Gesundheitsdaten und digitale Medizin. Doch sie basieren auf einem stillen Machttransfer: von den Bürgern hin zu datenverwertenden Unternehmen.
Will Deutschland als digitale Gesundheitsnation international auftreten? Muss es auf Kosten seiner Bürger sein:
Will es Privatdaten seiner Bürger als Ware behandeln – oder Datensouveränität zum Exportschlager machen?
Illusion der Datenhoheit: Die Realität hinter dem Verbraucherschutz in Deutschland
Ob Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), Einwilligungsformulare oder offizielle Ethik-Gremien – vieles vermittelt den Eindruck, als hätten Bürger Kontrolle über ihre persönlichen Daten. Doch die Realität sieht oft anders aus:
Die tatsächliche Hoheit über Daten, Narrative und digitale Infrastrukturen liegt heute – und lag schon immer – bei wirtschaftlich mächtigen Akteuren.
Der Staat: Hüter des Verbraucherschutzes oder Handlanger ökonomischer Interessen?
Trotz aller offiziellen Rhetorik ist der Staat nicht neutral, wenn es um die Regulierung digitaler Märkte geht. Vielmehr lässt sich beobachten:
- Politik und Industrie verfolgen in vielen Bereichen deckungsgleiche Interessen – besonders wenn wirtschaftlicher Fortschritt oder internationale Konkurrenzfähigkeit auf dem Spiel stehen.
- Datenschutz wird oft nur dort konsequent durchgesetzt, wo er keine großen Geschäftsmodelle stört.
- In Schlüsselbereichen wie Gesundheit, Mobilität oder Bildung werden IT-Infrastrukturen mit privatwirtschaftlicher Dominanz aufgebaut – häufig sogar mit staatlicher Förderung.
Verbraucher als manipulierbare Masse
Die Idee des „mündigen Verbrauchers“ ist in vielen Bereichen eine Fiktion:
- Undurchsichtige Einwilligungsmechanismen (z. B. Cookie-Banner, AGBs, Datenfreigaben bei Gesundheitsapps)
- Behavioral Design und Nudging, das gezielt Entscheidungsspielräume einschränkt
- Informationsasymmetrien, die es unmöglich machen, echte informierte Entscheidungen zu treffen
Ergebnis: Der Verbraucher ist nicht Subjekt, sondern Objekt datengetriebener Geschäftsmodelle – mit staatlicher Legitimierung durch Gesetze, die lediglich formale Zustimmung verlangen, aber keine verstehbareMitbestimmung ermöglichen.
Die Gesundheitsdaten als aktuelles Beispiel
Gerade im Gesundheitsbereich zeigt sich diese Problematik besonders deutlich:
- Elektronische Patientenakte (ePA), Telematikinfrastruktur, Gesundheits-Apps: Alles basiert auf Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung durch private IT-Dienstleister.
- Die zentrale Rolle übernehmen Konzerne – darunter auch internationale Anbieter mit Sitz außerhalb der EU.
- Die Versicherten werden dabei kaum umfassend informiert, sondern lediglich zur Zustimmung „gebeten“ – meist über verklausulierte Prozesse, die faktisch keinen Widerspruch erlauben.
Wer schützt hier wen?
In Deutschland existiert eine strukturelle Schieflage:
Die Macht über Daten und digitale Infrastruktur liegt zunehmend bei privatwirtschaftlichen Akteuren – und der Staat agiert oft nicht als Schutzinstanz, sondern als Katalysator dieser Entwicklung.
Der Verbraucherschutz verkommt zur Fassade, hinter der sich ein effektiver Souveränitätsverlust der Bürger vollzieht – mit Langzeitfolgen für Demokratie, Gesundheitsgerechtigkeit und soziale Teilhabe.
Fazit: Die stille Entmachtung der Bürger
Der Staat reklamiert die Verteidigung der Verbraucherrechte, während er gleichzeitig Strukturen stützt, die diese Rechte untergraben. Statt echter Souveränität bleibt ein System formaler Zustimmung, das Bürger*innen zu verwertbaren Datenträgern degradiert – mit der Legitimation des Staates selbst.
Persönliche Daten sind Machtressourcen. In der digitalen Gesellschaft entscheidet der Zugriff auf Daten zunehmend über ökonomische, soziale und politische Macht. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits am 15.12.1983 mit dem Volkszählungsurteil das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingeführt – als Reaktion auf staatliche Datensammelpraktiken. Die digitale Verarbeitung personenbezogener Daten beeinflusst heute fundamentale Grundrechte: Privatheit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Diskriminierungsfreiheit.
Datenschutz ist kein technisches Randthema, sondern eine demokratische Grundbedingung.
Es braucht nicht mehr Rhetorik – sondern eine demokratisch kontrollierte Digitalpolitik, die nicht den Markt schützt, sondern die Menschen.